[PC, Xbox 360, PS3] Mirror´s Edge

  • Sie faszinieren mit einzigartigen Tricks, klettern in Rekordgeschwindigkeit ganze Gebäude hoch und vollführen auf den Dächern der Stadt in schwindelerregender Höhe waghalsige und riskante Sprünge über die tiefsten Abgründe. Die sogenannten Free Runner sind ein Phänomen der Neuzeit und durch Medien wie Fernsehen und Internet schon länger bekannt. In Videospielen wie Prince of Persia oder Assassin´s Creed fanden sich bislang lediglich einige Elemente der entsprechenden Sportart wieder. Erst die schwedischen Entwickler von DICE, welche sich eigentlich durch diverse Battlefield-Ableger einen Namen gemacht haben, widmeten im Jahre 2008 diesem Extremsport ein eigenes Spiel. Was dabei raus gekommen ist, nennt sich Mirror´s Edge.


    Dystopia 2020
    Eine Stadt unter totalitärem Regime. Jede Art von Kommunikation wird überwacht. Cops jagen Informationsübermittler; Sie jagen diejenigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Informationen in der hochgewachsenen Stadt auszutauschen. Keine Briefe, keine Mails, keine Telefonate. Nur Gespräche von Angesicht zu Angesicht entziehen sich den Augen und Ohren des Regimes. Ihr seid Teil des illegalen Informationssystems. Ihr seid eine Runnerin. Ihr seid Faith.


    Geschwisterliebe
    Nicht alle nahmen damals die Veränderungen im System einfach stillschweigend hin. Stattgefundene Aufstände und Protestaktionen sind fester Bestandteil vieler Kindheitserinnerungen in den Köpfen von Faith und Kate. Heute besteht Faiths Alltag als Runnerin darin Nachrichten zwischen den Bürgern, die sich dem System widersetzen, zu übermitteln. Sie lebt wie ihre Kollegen an des Spiegels Kante zwischen Glanz und Realität. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester Kate: Als Polizistin ist sie Dienerin des Staates. Dennoch wünschen sich die beiden gegenseitig nur das Beste. Bei einem heimlichen Treffen erfährt Faith von ihrer Schwester, dass Kate fälschlicherweise des Mordes an einem bekannten Politiker beschuldigt wird. Nun liegt ihr Schicksal in den Händen von Faith, welche auf Grund des recht innigen Verhältnisses des Schwesternpaares nun zunehmend ins Kreuzfeuer der gewaltbereiten Exekutive gerät.


    Jump, climb and run!
    Das Spielschema ist bei einer Sportart als Vorlage fast selbsterklärend: In den verschiedenen Abschnitten gilt es mit Faith von A nach B zu gelangen. Den eher ungewöhnlichen Routen entsprechend, welche gerne Gebäudedächer, Luftschächte oder auch mal U-Bahn-Gleise beinhalten, stehen euch natürlich wesentlich mehr Moves als einem normalen 08/15-Postboten zur Verfügung. So ist unsere sportliche Protagonistin gelenkig genug, um sich an hochgelegenen Kanten hochzuziehen, unter Hindernissen durchzurutschen oder auch mal paar Schritte an Wänden entlang zu laufen. Ebenso wichtig wie ihre akrobatischen Fähigkeiten ist ihr Verhalten im Kampf. Nicht selten laufen euch Cops über den Weg, an denen man nur schwer ohne Gewalt vorbeikommt. Zu Faiths Repertoire gehören neben gewöhnlichen Tritten und Schlägen, welche nur relativ schwer und in richtiger Alternation zum Knock-out des Gegners führen, die Möglichkeit sprungtechnische Aktionen mit darauffolgenden Angriffen zu kombinieren - wie beispielsweise das Vollführen eines Wall-Runs mit abschließendem Tritt. Solche Aktionen sind wesentlich effektiver und sehr wichtig, wenn es gegen eine Vielzahl an Jägern geht. Hier zählt jede Zehntel Sekunde ohne feindlichen Beschuss, da Faiths Leichtigkeit und Beweglichkeit natürlich fehlende Panzerung oder sonstige Schutzkleidung zur Folge hat. Dazu kommt noch, dass sie keine eigene Waffe mit sich trägt. Die Betonung liegt hier jedoch auf „eigene“, da unsere Sportskanone es versteht durch Antizipieren und mit großem Reaktionsvermögen die Bewegungen des Feindes im Nahkampf zu analysieren, um sich an dessen Waffe zu bereichern. Natürlich könnt ihr anschließend den Abzug betätigen, um weitere Gegenspieler loszuwerden. Viel mehr als zwei von ihnen werdet ihr aufgrund der stark limitierten Anzahl an im Magazin zurückgebliebenen Kugeln jedoch kaum erwischen können.


    Authentisch
    Nichts als ein weißer Punkt bedeckt den Bildschirm, welcher euch die Sicht aus den Augen der jungen Protagonistin gewährt. Ihr schaut euch um: Links und rechts seht ihr hochgewachsene Gebäude, der Blick empor zeigt euch einen klaren blauen Himmel und in Richtung Boden seht ihr Faiths Füße. Vor allem Letzteres klingt viel zu gewöhnlich, um Erwähnung zu finden – doch für ein Spiel, welches euch in die Rolle einer Free Runnerin versetzt, ist ein Detail wie dieses, ein ernst zunehmendes Mosaikstück zum Ganzen. Nie hat man als Spieler das Gefühl lediglich eine hüllenlose Kamera durch den Parkour führen zu müssen. Dies liegt an Details, wie beispielsweise der laut zu hörenden Atmung unserer Protagonistin, wenn sie nach einem gewissen Anlauf auf Höchstgeschwindigkeit gekommen ist, den im Sprung gezeigten Ruderbewegungen ihrer Arme oder auch der 360-Grad-Drehung der Kamera, wenn Faith eine Landung mit einer Rolle abdämpft.


    Bei der Innovation, die Mirror´s Edge im Gameplay mit sich bringt interessiert neben der darstellerischen Leistung des Geschehens natürlich auch die Steuerung des Spiels: Hier hat es das Entwicklerteam von DICE geschafft, die komplexen Bewegungsmuster eines Free Runners auf ein gewisses Minimum zu reduzieren, sodass – soweit man das beurteilen kann – das Gefühl des Sports erhalten bleibt, ohne dass der Spieler mit komplizierten Kontrollschemata überlastet wird. So sind neben dem Laufen und Umsehen an sich die folgenden vier Moves essentiell: Springen, Ducken, Schlagen und Umdrehen, welche bei Verwendung eines Gamepads auf den vier Schultertasten zu finden sein sollten. Dies sind allerdings die Kommandos, welche vollführt werden, wenn Faith stillsteht. Das Spiel interpretiert jede Eingabe in Abhängigkeit der aktuellen Bewegungs- und Umgebungslage von Faith: So führt das Ducken im Lauf zum Rutschen, während es im Sprung unsere Beine an den Körper anziehen lässt. Im spitzen Winkel auf eine Wand zu, erwirkt ein Sprung einen Wandlauf und eine anschließende Umdrehen-Sprung-Kombination veranlasst einen Sprung von der Wand weg. Zudem habt ihr die Möglichkeit für einen kurzen Moment die Zeit langsamer wirken zu lassen, um während schwieriger Bewegungs- oder Kampfmanöver wohlüberlegt und genau handeln zu können. Mit ein wenig Übung gehen die wichtigsten Moves schnell von der Hand und werden bis auf wenige fehlerhafte Ausnahmen im Gamedesign immer richtig vom System umgesetzt.


    Voll im Flow
    So leicht die Spielidee auch für Begeisterung und Neugierde sorgt und so clever das Steuerungsproblem auch gelöst worden ist, so schwierig macht es euch Mirror´s Edge auch bis zu dem Punkt, an dem der Spaß am Spiel dessen erzeugten Frustmomente überdeckt. Den Entwicklern kann man an dieser Stelle allerdings unter diesem Aspekt keinesfalls Vorwürfe machen, wie folgender Gedanke verdeutlichen soll: Ihr befindet euch auf dem Dach eines Hochhauses. Wie so oft sind euch die Cops auf den Fersen, sodass wieder einmal eine Flucht auf dem Tagesprogramm steht. Welchen Weg schlagt ihr ein? Anfangs werdet ihr nicht selten den falschen Pfad wählen, welcher im Abgrund oder in einer (nicht weniger tödlichen) Sackgasse endet. Das Stichwort lautet hier glasklar „Trial and Error“. Dabei statten euch die Entwickler schon mit einer netten visuellen Fähigkeit aus: Mit der sogenannten Runner Vision erkennt Faith frühzeitig Objekte, welche zum Weiterkommen dienen. Dies drückt sich in einer starken Rotfärbung des entsprechenden Gegenstands - wie beispielsweise einer Leiter zum empor klettern oder einer Kiste zum Überbrücken von Höhendifferenzen – aus. Problematisch bleibt aber weiterhin, dass auch die im starken Kontrast zur sonstigen Umgebung stehenden Hilfen oft unter hohem Zeitdruck und dann auch Stück für Stück gefunden werden müssen.


    Im circa sechs Stunden dauerndem ersten Durchlauf von Mirror´s Edge glänzt der Spielfluss durch fast konsequente Abwesenheit. Ebenso abschreckend ist die recht dünne Story, welche zwar durch nette Cutscenes im Comic-Look, dafür aber in deutscher Sprachausgabe von nur wenig motivierten Synchronsprechern erzählt wird. Lediglich die soundtechnische Untermalung der Momente weiß zu überzeugen, findet allerdings erst mit einer Ambiente-Musik im finalen von insgesamt zehn Kapiteln seinen absoluten Höhepunkt - wenn man mal das grandiose Titellied „Still Alive“ gesungen von Lisa Miskovsky außen vor lässt. Wer hier am Ball bleibt wird letzten Endes dann doch belohnt: Mirror´s Edge schöpft seinen Reiz aus seinem hohen Wiederspielwert und den zusätzlichen Time Trials. Lernt man die diversen Strecken erst richtig kennen, so offenbart sich jener Spielfluss, der anfangs vergeblich gesucht wurde. Im Sinne einer einführenden Runde setzt sich nach dem ersten Spieldurchlauf ein Weg in euren Köpfen fest, knifflige Stellen werden euch im Optimalfall schon während des Laufs in Erinnerung gerufen und gewisse Bewegungskombinationen werden von euren Fingern bewirkt, ohne dass ihr bewusst an die entsprechenden Tasten auf dem Gamepad bzw. der Tastatur denkt. Unter diesen Gesichtspunkten kann ein weiterer Spieldurchlauf, welcher intensiver kaum sein kann, problemlos in unter drei Stunden vollbracht werden.


    Fazit
    Mirror´s Edge macht es euch wahrlich nicht leicht: Selbst wenn ihr euch im Vorfeld oder auch erst während des Spielens von der Optik, der Musik oder der Idee des Titels habt fangen lassen, genau so schnell lässt es euch auch wieder los. Frustmomente verhindern den Spielfluss - Der nicht existente Spielfluss erzeugt wiederum weitere Frustmomente. Nur der Fleißige wird mit extrem schnellen Gameplay und der Eigenschaft, nicht nur durch Faiths Augen zu sehen, durch ihre Ohren zu hören, sondern auch nach einer kniffligen Passage ihre Anstrengungen zu spüren, belohnt. Hätte man mich während meines ersten Spieldurchlaufs gefragt, hätte ich den Titel wohl eher nicht weiterempfohlen. Heute jedoch ist Mirror´s Edge einer meiner persönlichen All-Time-Favorites. Die Essenz dieses Werkes hat eine nicht zu unterschätzende Spielergemeinde für sich entdeckt und zu lieben gelernt, welche dem kommenden Nachfolger entgegen fiebert.


    [progressbar=82]Wertung[/progressbar]



    [infobox]Getestete Version: Xbox 360[/infobox]